headerbild Wir sind Zukunft.

Festrede „90 Jahre MK Kiel“

von Dr. Dieter Hartwig

-ein würdiger Anlass für einen Blick in die Geschichte

„Auf den Tag heute vor 90 Jahren, am 6. März 1914 fand die Gründungsversammlung desjenigen Vereins statt, in dessen Geschichte und Tradition sich unsere Marinekameradschaft Kiel v. 1914 sieht – des „Vereins ehemaliger Unteroffiziere der kaiserlichen Marine.“ Es ist nicht sicher, ob es im Namen hieß ‚kaiserliche Marine’ oder nur ‚Marine.’ Wie dem auch sei: Diese Vereinsgründung war insofern ein besonderes Ereignis, als es sich um die Abspaltung aus dem „Marineverein Prinz Heinrich von Preußen“ handelte. Dieser war schon 1890 gegründet worden und hatte sich verdient gemacht mit der Initiative zur Gründung des Deutschen Marine-Bundes 1891, um den es hier und heute aber nicht weiter gehen soll. Vielmehr versuche ich nachzuempfinden, warum und in welcher Situation der „Verein ehemaliger Unteroffiziere der Marine“ gegründet wurde.
Als Grund wird in früheren Darstellungen die Größe des Ursprungsvereins mit 700 Mitgliedern genannt. Man muss sich das in etwa vorstellen wie die Besatzung eines Linienschiffes der kaiserlichen Marine: In einer bis zu 1.000 Mann starken Besatzung sind die einzelnen Dienstgradgruppen nur in ihren Messen unter sich. Nur dort, wo man unter sich und seines Gleichen ist, fühlt man sich freier, und wahrscheinlich fühlten sich die Mitglieder des „Vereins ehemaliger Unteroffiziere“ in ihrem eigenen Verein z. B. bei Gespräche auf der Basis gemeinsamer Erlebnisse einfach wohler. Ich verstehe die Ausgründung also nicht als Protest gegen den „Marineverein Prinz Heinrich v. Preußen“, sondern als Suche nach Heimat.
Nachdem so die Frage nach dem Warum einigermaßen beantwortet ist, geht es nun um die Frage: Wie war die Situation im März 1914? Damals herrschte Friede! Schon seit mehr als 40 Jahren. Die Schiffe der kaiserlichen Marine befuhren alle Weltmeere, nach dem Motto in der Marineschule Mürwik:

„Den Frieden zu wahren, gerüstet zum Streit, mit flatternden Fahnen, im eisernen Kleid, so tragt deutsche Schiffe, von Meere zu Meer, die Botschaft von Deutschland, den Frieden umher.“

Zwar waren Schiffe und Besatzungen auch in kriegsähnliche Vorkommnisse verwickelt – ich erinnere nur an die grausame Niederschlagung des Herero-Aufstandes vor 100 Jahren auch mit Marinetruppen, auch konnte niemand die seit 1908 gebauten Linienschiffe und Schlachtkreuzer nur als ‚Spielzeuge’ betrachten – aber an Krieg dachte im März 1914 sicher niemand. Und schon gar nicht an einen solchen, wie er dann nur fünf Monate später ausbrach – mit nur vereinzelten Gefechten und mit der nur zufällig zustande gekommenen Skagerrakschlacht, die zwar als deutscher Sieg in die Marinegeschichtsschreibung einging, eine Entscheidung aber nicht brachte. Vielmehr bewirkte ihr Ergebnis gerade jene Untätigkeit der Schlachtflotte, aus der heraus sich Gehorsamsverweigerungen, Meuterei und Revolution 1918 entwickelten.

Damit sah die Welt unserer Vereinsvorgänger extrem anders, genauer: düsterer aus, als nur 4 ½ Jahre zuvor, als ‚Glanz und Gloria’ herrschten. Jetzt war der „Große Krieg“ verloren; das Kaiserreich gab es nicht mehr, und daran war die Marine mitschuldig; ihre stolzen Schiffe mussten dem Gegner ausgeliefert werden und lag selbstversenkt in Scapa Flow; die Wirtschaft lag am Boden; insbesondere der für Kiel wichtige Schiffbau.

Man kann sich vorstellen: Das Bedürfnis nach Zusammenrücken, nach Anlehnung, nach Schicksalsgenossen muss stark gewesen sein. Dass der Verein lebte, zeigt eine Eintragung ins Vereinsregister vom März 1921 – unser leider schon verstorbener Kamerad Nitzschke schrieb vor zehn Jahren, damals wäre im Namen das Wort ‚kaiserliche’ gestrichen worden – auch das sicher mit Trauer. Man arrangierte sich mit den Gegebenheiten. An ein Wiederaufleben des Kaiserreichs glaubte niemand – aber die Reichsmarine fuhr noch bis zum Ende des Jahres 1921 unter der kaiserlichen Kriegsflagge! Und anschließend blieb es für Kriegs- und Handelsschiffe bei schwarz-weiß-rot, obwohl doch die neuen Reichsfarben schwarz-rot-gold waren – aber die fanden nur im linken Obereck Platz. Man kann sich vorstellen, dass gerade aktive und ehemalige Marineangehörige eine der ersten Maßnahmen unter nationalsozialistischer Herrschaft, nämlich die Rückkehr zu den Staatsfarben schwarzweißrot im März 1933, begrüßten. Das galt sicher auch für den gesamten Regierungs- und Systemwechsel, von dem sich wohl die meisten Deutschen einen wirtschaftlichen Aufschwung versprachen, aber auch eine Zunahme an politischer Bedeutung im Konzert der Großmächte – und damit verbunden eine wieder größere Marine, statt jener ‚Mini-Marine’ des verhassten Versailler Vertrages. Die Schrecken des ‚Dritten Reiches’ dagegen – Unterdrückung, Entrechtung, Krieg – waren für die Mitglieder des „Marinevereins ehemaliger Unteroffiziere der Marine“ kaum vorhersehbar. Die Umbenennung des Vereins in „Marinekameradschaft ehemaliger Unteroffiziere der Marine e. V., Kiel“ (1936) und später (1939) in „Marinekameradschaft Kiel v. 1914 e. V.“ wird keine Aufregung verursacht haben.

Unter diesem Namen lebte unsere Kameradschaft im Februar 1953 wieder auf – die Gründungsmitglieder hatten sich im Januar in der nahegelegenen SEEBURG unter der Führung des bisherigen und neuen Vorsitzenden, Paul Grönwoldt [Vater unseres Ehrenmitgliedes Werner Grönwoldt], getroffen. Acht Jahre nach dem zweiten verlorenen Weltkrieg mit seinen schrecklichen Folgen – insgesamt ca. 55 Millionen Tote weltweit, viele Millionen Vertriebene; viele, wenn nicht alle größeren Städte in Europa und Deutschland in Schutt und Asche. So auch Kiel – und die wegen der Aufrüstung des ‚Dritten Reiches’ erneut stark marineorientierte Arbeitswelt wieder am Boden. ‚Nie wieder Militär’ war die Tagesparole – es wurde aber (wir sind im Jahr 1953!) doch wieder über deutsche Soldaten gesprochen. Ohne dies weiter ausführen zu können, stellen wir uns die verunsicherte Situation unserer Vorgängerkameraden vor – und haben Verständnis für die erneute Suche nach Anlehnung und Geborgenheit im Kameradenkreis.

Mit diesem Neubeginn nach 31 aktiven Jahren und achtjährigem Stillstand begann der zweite, längere Lebensabschnitt unserer Marinekameradschaft – es ist ja mehr als nur ein Zahlenspiel:

Die im Kaiserreich gegründete „Marinekameradschaft Kiel v. 1914“ existiert nun 51 Jahre im demokratischen Staatswesen der Bundesrepublik Deutschland. Das Festhalten an den Ursprüngen wird deutlich im kaum bekannten Namenszusatz „Traditionskameradschaft des Bundes Deutscher Marinevereine von 1891, Kiel“ – er kam 1961 auf Anregung des damaligen Präsidenten des Deutschen Marinebundes e. V., Ernst Lucht, hinzu. Ich denke – unsere Marinekameradschaft kann die Verleihung dieses Namenszusatzes als einen Höhepunkt ihrer Geschichte betrachten.

Weitere Höhepunkte waren die Entscheidung und Verwirklichung zum Bau dieses Vereinsheimes in exquisiter Lage. Es zu erhalten, ist alle Mühen Wert. Wir Heutigen und unsere Nachfolger sollten mit Hochachtung jener gedenken, deren Bemühungen 1989 zum Beginn des Baus und zur Einweihung am 12. Oktober 1990 führten. Diese Hochachtung gilt auch den folgenden Vorständen sowie dem jetzigen und unserem Wirt – denn deren Anstrengungen ist es zu verdanken, dass andere Vereine hier tagen, wobei ich ganz besonders den Nautischen Verein zu Kiel erwähne! Es ist hier so etwas wie ein Keim zu einem maritimen Verbund gelegt, der dieses Vereinsheim verstärkt als maritime Begegnungsstätte nutzen könnte.

Noch zwei Aspekte aus der Geschichte der „Marinekameradschaft Kiel v. 1914“ und ihren Tätigkeitsfeldern möchte ich erwähnen: Die MK Kiel leistet Jugendarbeit , indem sie der Marinejugend Kieler Förde e. V. im Erdgeschoss dieses Vereinsheim sehr kostengünstig Räume in bester Lage zur Verfügung stelle. Für die Basisarbeit gebührt der MK Kiel uneingeschränkte Anerkennung und Dank! Am anderen Ende der Vereinsarbeit richtete die MK Kiel seit ihrer Wiedergründung 1953 drei Abgeordnetentage des Deutschen Marinebundes, des Dachverbandes aller MKs und MVs, aus. Und der vierte steht im Juni diesen Jahres bevor. Damit wird der Deutsche Marinebund in seiner gesamten Geschichte sieben Mal in Kiel getagt haben – so oft wie in keiner anderen Stadt, auch öfter als in Wilhelmshaven. Insofern ist Kiel noch immer die deutsche ‚Marinehauptstadt’.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kameradinnen und Kameraden – die Geschichte der „Marinekameradschaft Kiel v. 1914“ ist so bewegt wie die deutsche Geschichte. Es gab Höhen und Tiefen und wieder Höhen. Wie es eben auf See so ist – Idylle herrscht dort nur in der Vorstellung von „Landratten“. Dass es ein 90jähriges Jubiläum geben würde, konnten die Gründungsväter nur hoffen; was bis dahin geschehen würde, konnten sie sich nicht vorstellen. Wir hoffen auf das 100jährige Jubiläum – und nehmen uns vor, alles zu tun, damit es auch erreicht wird.“

Festrede (6. März 2004) mit freundlicher Genehmigung von FKpt a.D d.R. und Mitglied der MK Kiel Dr. Dieter Hartwig
Vielen Dank Kamerad Dieter!